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Strafbefreiende Selbstanzeige nur bei vollständiger Rückkehr zur Steuerehrlichkeit

Bundesgerichtshof, Az: 1 StR 577/09, Beschluss vom 20.05.2010

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Mai 2010 beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 23. Juni 2009 wird mit der Maßgabe, dass der Angeklagte im Fall III.2.b) der Urteilsgründe des Betruges in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig ist, als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Strafbefreiende Selbstanzeige nur bei vollständiger Rückkehr zur SteuerehrlichkeitDas Landgericht hat den Angeklagten wegen „Steuerhinterziehung in zwei tateinheitlichen Fällen, in Tatmehrheit mit vier Fällen des Betruges, davon in einem Fall in zwei tatmehrheitlichen Fällen und in einem weiteren Fall in vier tateinheitlichen Fällen“ zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die Revision, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, führt lediglich zu der aus dem Tenor ersichtlichen Berichtigung der Urteilsformel wegen eines Schreibversehens (vgl. UA S. 37). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Der Erörterung bedarf lediglich die Frage der Strafbefreiung nach § 371 AO:

Soweit der Angeklagte im Fall III. 3. der Urteilsgründe wegen Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Veranlagungszeitraum 2000 verurteilt wurde, hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht das Vorliegen einer strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO verneint. Ob überhaupt eine den Anforderungen des § 371 Abs. 1 AO entsprechende Selbstanzeige vorliegt, kann offen bleiben. Jedenfalls stehen der Strafbefreiung sowohl der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO als auch derjenige des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO entgegen.

1.

Nach den Urteilsfeststellungen wurden am 28. April 2005 in dem gegen den Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 in der Wohnung des Angeklagten und der Kanzlei seines Steuerberaters Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt. Im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahmen ergaben sich Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte nicht nur für die Jahre 2001 und 2002, sondern bereits für die Jahre 1999 und 2000 in seinen Einkommensteuererklärungen steuerpflichtige Einkünfte verschwiegen und hierdurch Einkommensteuer verkürzt hatte. Der Steuerberater des Angeklagten äußerte hierbei, dass die Ermittler zwei Wochen zu früh erschienen seien, da die Steuererklärungen in Vorbereitung seien. Nachdem der die Ermittlungen leitende Beamte der Steuerfahndung dem Angeklagten mündlich eröffnet hatte, dass das Ermittlungsverfahren auf den Verdacht der Hinterziehung von Einkommensteuer für die Jahre 1999 und 2000 erweitert worden sei, übergab der Steuerberater den Fahndungsbeamten zur Vermeidung der Beschlagnahme die vorhandenen sortierten und aufbereiteten Unterlagen für diese Veranlagungszeiträume. Die Belege waren in einer Tabelle erfasst, eine Steuererklärung hingegen noch nicht erstellt. Nachdem der Steuerberater die Unterlagen zurückerhalten hatte, fertigte er innerhalb von zwei Monaten die Einkommensteuererklärungen des Angeklagten für die Jahre 1999 bis 2002. Die aufgrund einer tatsächlichen Verständigung ergangenen Steuerbescheide wurden bestandskräftig; der Angeklagte beglich die Steuerforderungen nach und nach.

2.

Nach § 371 Abs. 1 AO kommt demjenigen ein persönlicher Strafaufhebungsgrund zugute, der in den Fällen des § 370 AO bei der Finanzbehörde unrichtige Angaben berichtigt, unvollständige ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt. Straffreiheit tritt nicht ein, wenn ein Sperrgrund des § 371 Abs. 2 AO vorliegt.

a)

Diese im Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch liegende Privilegierung des Steuerstraftäters gegenüber anderen Straftätern bedarf einer doppelten Rechtfertigung: Zum einen sollen verborgene Steuerquellen erschlossen werden; zum anderen soll dem Steuerhinterzieher ein Anreiz gegeben werden, zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren.

Aus fiskalischen Gründen soll für den Steuerhinterzieher ein Anreiz geschaffen werden, von sich aus den Finanzbehörden bisher verheimlichte Steuerquellen durch wahrheitsgemäße Angaben zu erschließen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 35, 36, 37; BGH wistra 2004, 309, 310 m.w.N.). Allein fiskalische Interessen an der Entrichtung hinterzogener Steuern können diese Privilegierung aber schwerlich rechtfertigen. Hinzukommen muss die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit; diese soll honoriert werden (BGHSt 3, 373, 375 und 12, 100, 101 zu § 410 RAO; BGH DB 1977, 1347 zu § 395 RAO; BGH wistra 1985, 74 zu § 371 AO; vgl. auch bereits die Gesetzesmaterialien zu § 410 RAO 1951 BTDrucks. I/2395).

b)

Eine Rückkehr zur Steuerehrlichkeit ist dann gegeben, wenn der Täter nunmehr vollständige und richtige Angaben – mithin „reinen Tisch“ – macht. Erst dann liegt eine strafbefreiende Selbstanzeige i.S.d. § 371 Abs. 1 AO vor.

Das folgt auch aus dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO. Unrichtige oder unvollständige Angaben müssen berichtigt oder ergänzt, unterlassene Angaben müssen nachgeholt werden. Die Benennung aller denkbaren Handlungsvarianten zur Korrektur von unrichtigen und unvollständigen Angaben – aufgezählt mit einem (nicht exklusiven) „oder“ – macht deutlich, dass das Gesetz die vollständige Rückkehr zur Steuerehrlichkeit will. Nur unter dieser Voraussetzung wird der Täter straffrei. Das auf die Nennung dieser Voraussetzung folgende Wort „insoweit“ bezieht sich nicht auf den Umfang der gemachten Angaben, sondern allein auf den Umfang der Strafbefreiung. Diese tritt also erst dann ein, wenn die Angaben insgesamt richtig sind. Hätte der Gesetzgeber eine Strafbefreiung auch schon für nur teilweise richtige Angaben (Teilselbstanzeige) gewollt, dann hätte er das Gesetz anders formuliert („Soweit … berichtigt …“). „Insoweit“ bedeutet daher namentlich: Neben der Straffreiheit für -gänzlich verschiedene -Steuerdelikte könnte auch ein Täter, der zusätzlich verfälschte Belege gebraucht oder ein Bestechungsdelikt begeht (vgl. § 370 Abs. 3 AO sowie BGH wistra 2004, 309, 312), Straffreiheit (nur) wegen der Steuerhinterziehung erlangen.

c)

Im Hinblick darauf, dass der fiskalische Zweck, noch unbekannte Steuerquellen zu erschließen, angesichts der heute bestehenden Ermittlungsmöglichkeiten und der verbesserten internationalen Zusammenarbeit zunehmend an Bedeutung verloren hat, erlangt der weitere Zweck, Rückkehr zur Steuerehrlichkeit, zusätzliches Gewicht.

Der Senat hält eine Teilselbstanzeige nicht für ausreichend, um die Strafbefreiung zu erlangen. Denn hier fehlt gerade die Rückkehr zur vollständigen Steuerehrlichkeit (vgl. auch BGH wistra 1993, 66, 68). Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bislang eine solche Teilselbstanzeige als wirksam angesehen worden ist, weil das Wort „insoweit“ in § 371 Abs. 1 AO eine nur teilweise Nachholung fehlender zutreffender Angaben erlaube (vgl. BGHSt 35, 36; BGH wistra 1988, 356; 1999, 27), hält der Senat daran nicht fest. Einer Anfrage bei anderen Senaten bedarf es nicht (vgl. Hannich in KK-StPO 6. Aufl. § 132 GVG Rdn. 6 m.w.N.).

Eine danach nicht ausreichende Teilselbstanzeige ist beispielsweise gegeben, wenn ein Steuerpflichtiger seine unvollständige Einkommensteuererklärung dahin „berichtigt“, dass er von bislang gänzlich verschwiegenen Zinseinkünften nunmehr nur diejenigen eines Kontos angibt, aber immer noch weitere Konten verschweigt, weil er insoweit keine Entdeckung durch die Finanzbehörden befürchtet (dolose Selbstanzeige). Nach Ansicht des Senats läge in einem solchen Fall keine wirksame Selbstanzeige vor.

Auch der denkbare Umstand, dass der Täter einer Steuerhinterziehung nicht in der Lage ist, die zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern innerhalb angemessener Frist vollständig nachzuzahlen (vgl. § 371 Abs. 3 AO), könnte für sich allein die Zulässigkeit einer Teilselbstanzeige nicht rechtfertigen. Die Gründe, aus denen der Steuerpflichtige zur Zahlung nicht in der Lage ist, sind für § 371 Abs. 3 AO grundsätzlich bedeutungslos.

3.

Einer strafbefreienden Selbstanzeige steht hier jedenfalls der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO entgegen.

Nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a 2. Alt. AO tritt Straffreiheit schon dann nicht ein, wenn vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung von Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen i.S.v. § 371 Abs. 1 AO ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist. Dieser Sperrgrund betrifft nicht nur solche Taten, die vom Ermittlungswillen („zur Ermittlung“) des erschienenen Amtsträgers erfasst sind. Er erstreckt sich auch auf solche Taten, die mit dem bisherigen Ermittlungsgegenstand in sachlichem Zusammenhang stehen (vgl. BGH wistra 1983, 146; 2000, 219, 225; 2004, 309).

a)

Für diese Auslegung spricht schon der Wortlaut des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a 2. Alt. AO, der weder eine zeitliche noch sachliche Beschränkung enthält. Die Worte „zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit“ belegen – wie der Vergleich mit § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO zeigt, der den Gegenstand des dem Täter bekannt zu gebenden Strafverfahrens mit den Worten „wegen der Tat“ umschreibt -, dass die Sperrwirkung nicht auf solche Taten beschränkt werden soll, die bereits Gegenstand des Ermittlungsverfahrens sind.

b)

Zudem ist zu bedenken, dass die Strafbefreiung nach § 371 AO eine Ausnahmevorschrift ist, die schon deswegen entgegen der weit verbreiteten gegenteiligen Auffassung (vgl. z.B. BayObLG MDR 1985, 519; Keller/ Kelnhofer wistra 2001, 369, 370) – auch im Hinblick auf den Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch – restriktiv auszulegen ist. Das hat auch Auswirkungen auf die Auslegung der Sperrgründe des § 371 Abs. 2 AO. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass bei der Auslegung der mittelbar (wieder) strafbegründenden Tatbestände des § 371 Abs. 2 AO das strafrechtliche Analogieverbot und der Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG zu beachten sind (vgl. Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 7. Aufl. § 370 AO Rdn. 34).

c)

Diese Auslegung folgt auch aus den oben genannten Gründen für die Strafbefreiung. Das gilt namentlich für den Normzweck, bisher unbekannte Steuerquellen zu erschließen.

Dieser Normzweck erfordert die Erstreckung der Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a 2. Alt. AO auch auf solche steuerlichen Sachverhalte, bei denen – soweit sie nicht bereits von dem bisherigen Ermittlungswillen erfasst sind – unter Berücksichtigung des bisherigen Überprüfungsziels einerseits und den steuerlichen Gegebenheiten des beschuldigten Steuerpflichtigen andererseits bei üblichem Gang des Ermittlungsverfahrens zu erwarten ist, dass sie ohnehin in die Überprüfung einbezogen würden (vgl. Jäger wistra 2000, 228). Dies ist jedenfalls stets dann der Fall, wenn sich die neuen Tatvorwürfe lediglich auf weitere Besteuerungszeiträume hinsichtlich derselben Steuerarten bei identischen Einkunftsquellen erstrecken. Denn dann erweist sich die bloß teilweise erfolgte Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung nicht als geeignet, den Finanzbehörden bisher unbekannte Steuerquellen zu erschließen. Der Amtsträger erscheint dann auch „zur Ermittlung“ zusammenhängender Taten.

d)

Allenfalls dann, wenn eine Erschließung weiterer sonstiger Steuerquellen durch bereits laufende Ermittlungen auszuschließen ist, kann dieser Sperrgrund noch zur Anwendung kommen. In diesem Fall ist -wie sonst auch -für die Strafbefreiung maßgeblich, dass die Aufdeckung bislang unerkannter Steuerquellen im Wesentlichen auf die Initiative des Steuerpflichtigen zurückgeht, die in der Rückkehr zur Steuerehrlichkeit zum Ausdruck kommt (vgl. BGHSt 3, 373, 375). Unvereinbar mit dem Normzweck wäre demgegenüber eine Auslegung, die honorierte, dass der Steuerpflichtige – ist der Amtsträger erst einmal erschienen – den „Wettlauf mit den Ermittlungsbehörden um die Rechtzeitigkeit“ gewonnen hat (vgl. Jäger wistra 2000, 228).

e)

Hier ist der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO gegeben. Die Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Veranlagungszeitraum 2000 war zwar zu Beginn der Durchsuchungsmaßnahme noch nicht vom Ermittlungswillen der Verfolgungsbehörden erfasst. Das Ermittlungsverfahren und auch die Durchsuchungsbeschlüsse hatten nämlich bis dahin lediglich die Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag der Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 zum Gegenstand. Vorliegend ist aber der die Sperrwirkung auslösende Zusammenhang zwischen der Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag in den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 mit der Hinterziehung hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 1999 und 2000 gegeben. Die neuen Tatvorwürfe erstrecken sich lediglich auf weitere Besteuerungszeiträume hinsichtlich derselben Steuerarten bei identischen Einkunftsquellen. Eine solche Fallgestaltung reicht stets für die Annahme eines sachlichen Zusammenhangs aus (vgl. BGH wistra 1983, 146).

4.

Einer strafbefreienden Selbstanzeige steht hier zudem der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO entgegen. Nach den Feststellungen war die Tat – wenigstens zum Teil – bereits entdeckt.

a)

Nach § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ist erforderlich, dass die „Tat“ ganz oder zum Teil bereits entdeckt war. Das Wort „entdecken“ ist – wie im allgemeinen Sprachgebrauch – dahin zu verstehen, dass Unbekanntes, Verborgenes aufgefunden wird. Die noch unbekannte, verborgene Tat i.S.d. § 370 AO muss ganz oder zum Teil entdeckt sein. Gesetzlicher Anknüpfungspunkt ist dabei nicht der Begriff des Anfangsverdachts (vgl. BGH wistra 2000, 219, 225), sondern der der „Tatentdeckung“. Bei diesem Begriff handelt es sich um ein Tatbestandsmerkmal, das mit den üblichen strafprozessualen Verdachtsgraden nicht gleichgesetzt werden kann; es hat einen eigenständigen Bedeutungsgehalt.

b)

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH NStZ 1983, 415; wistra 2000, 219, 225) liegt Tatentdeckung dann vor, wenn bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist. Diese Definition enthält eine doppelte, zweistufige Prognose. Zunächst ist – auf der Grundlage der vorhandenen, regelmäßig noch unvollständigen Informationen – die Verdachtslage, und zwar vorläufig, zu bewerten. Aufbauend auf dieser bloß vorläufigen Bewertung muss der Sachverhalt, auf den sich der Verdacht bezieht, zudem rechtlich geeignet sein, eine Verurteilung wegen einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit zu rechtfertigen. Ist das Vorliegen eines Sachverhalts wahrscheinlich, der die Aburteilung als Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit rechtfertigen würde, ist die Tat entdeckt. Die Anforderungen an diese Wahrscheinlichkeitsprognose dürfen schon deshalb nicht zu hoch angesetzt werden, weil sie auf einer (noch) schmalen Tatsachenbasis erfolgen muss.

c)

Das besagt zunächst, dass – entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Kohlmann, Steuerstrafrecht 41. Lfg. November 2009 § 371 AO Rdn. 204; Randt/Schauf DStR 2008, 489, 490; Fehling/Rothbächer DStZ 2008, 821, 824) – ein hinreichender Tatverdacht i.S.v. § 170 Abs. 1, § 203 StPO gerade nicht erforderlich ist und auch nicht gefordert werden kann. Die in § 170 Abs. 1, § 203 StPO für einen hinreichenden Tatverdacht notwendige Prognose der Verurteilungswahrscheinlichkeit baut nämlich auf einem ausermittelten Sachverhalt auf. Eine derartige Prognose lässt sich bei der Entdeckung der Tat – eine Entdeckung „zum Teil“ genügt – noch nicht verlässlich stellen. Die Entdeckung bildet vielmehr erst den Ausgangspunkt der dann gebotenen Ermittlungen.

d)

Daher ist – anders als bei § 203 StPO – auch nicht erforderlich, dass der Täter der Steuerhinterziehung bereits ermittelt ist, schon deshalb, weil das Gesetz nur an die Entdeckung der Tat, nicht aber an der des Täters anknüpft (BGH NStZ 1983, 415; wistra 2004, 309). Ebenso wenig ist erforderlich, dass die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen bereits so weit bekannt sind, dass der Schuldumfang verlässlich beurteilt werden kann (vgl. BGH wistra 2000, 219, 226). Es genügt, dass konkrete Anhaltspunkte für die Tat als solche bekannt sind.

e)

Diese Auslegung folgt auch aus der Systematik der (anderen) Sperrgründe des § 371 Abs. 2 AO. Denn für die Anwendung des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO bliebe bei dem engeren – einen hinreichenden Tatverdacht i.S.v. § 170 Abs. 1; § 203 StPO fordernden – Verständnis des Begriffs der Tatentdeckung keine eigenständige Bedeutung mehr, weil die Anforderungen für einen hinreichenden Tatverdacht regelmäßig Maßnahmen nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 AO voraussetzen (vgl. Dietz DStR 1981, 372, 373; Bilsdorfer BB 1982, 672, 673).

f)

Die Kenntniserlangung von einer Steuerquelle stellt für sich allein noch keine Tatentdeckung dar. Welche Umstände hinzukommen müssen, damit die Tat (wenigstens zum Teil) entdeckt ist, lässt sich nur im Einzelfall und nicht schematisch beantworten. In der Regel ist eine Tatentdeckung bereits dann anzunehmen, wenn unter Berücksichtigung der zur Steuerquelle oder zum Auffinden der Steuerquelle bekannten weiteren Umstände nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung eine Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit nahe liegt. Stets ist die Tat entdeckt, wenn der Abgleich mit den Steuererklärungen des Steuerpflichtigen ergibt, dass die Steuerquelle nicht oder unvollständig angegeben wurde. Entdeckung ist aber auch schon vor einem Abgleich denkbar, etwa bei Aussagen von Zeugen, die dem Steuerpflichtigen nahe stehen und vor diesem Hintergrund zum Inhalt der Steuererklärungen Angaben machen können, oder bei verschleierten Steuerquellen, wenn die Art und Weise der Verschleierung nach kriminalistischer Erfahrung ein signifikantes Indiz für unvollständige oder unrichtige Angaben ist.

g)

Der Begriff der Tatentdeckung in § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ist zu unterscheiden vom Begriff der Entdeckung der Tat in der Vorschrift des § 7 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StraBEG, die einen abweichenden Wortlaut hat. Dort ist die Entdeckung eines Teils der Tat für die Tatentdeckung nicht ausreichend. Die hierzu ergangene, einer normspezifischen Auslegung des § 7 StraBEG folgende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH wistra 2009, 201) ist daher nicht auf die strafbefreiende Selbstanzeige gemäß § 371 AO zu übertragen.

h)

Nicht erforderlich für die Tatentdeckung in § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ist, dass aufgrund der Tatsachen bereits ein Schluss auf vorsätzliches Handeln gezogen werden kann. Die Sperrgründe des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a 2. Alt. und Abs. 2 Nr. 2 AO sind bei Erscheinen eines Amtsträgers zur „Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit“ bzw. dann gegeben, wenn dem Täter die – zeitlich davor liegende – „Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist“. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ergibt sich vor diesem Hintergrund, dass der Gesetzgeber bei § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO, soweit er auf die Entdeckung der Tat abstellt, lediglich die vorsätzliche Steuerstraftat im Blick hatte (vgl. auch BTDrucks. V/1812 S. 24). Dem steht nicht entgegen, dass bei Entdeckung einer Tat im Sinne des § 370 Abs. 1 AO, die sich als nur leichtfertig begangen erweist (§ 378 Abs. 1 AO), eine bußgeldbefreiende Selbstanzeige (§ 378 Abs. 3 AO) nicht ausgeschlossen ist.

i)

Demnach war vorliegend die Hinterziehung der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlags für den Veranlagungszeitraum 2000 durch den Angeklagten i.S.v. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO zu dem Zeitpunkt entdeckt, als den Beamten der Steuerfahndung im Rahmen der Durchsuchung bekannt wurde, dass der Angeklagte bereits für diesen Veranlagungszeitraum unbeschränkt einkommensteuerpflichtig i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG war. Eines Abgleichs bedurfte es hier nicht, da bekannt war, dass der Angeklagte vor dem 1. Januar 2003 in Deutschland steuerlich nicht erfasst war.

Die Tatentdeckung war dem Angeklagten vor diesem Hintergrund auch bekannt. Jedenfalls musste er mit der Entdeckung rechnen. Denn aus den ihm bekannten Tatsachen hätte er – wie jeder andere Steuerpflichtige in seiner Situation – den Schluss ziehen müssen, dass die Tat entdeckt war.

Angesichts der verbesserten Ermittlungsmöglichkeiten im Hinblick auf Steuerstraftaten und auch der stärkeren Kooperation bei der internationalen Zusammenarbeit können nach Auffassung des Senats jedenfalls heute keine hohen Anforderungen an die Annahme des „Kennenmüssens“ der Tatentdeckung mehr gestellt werden. Der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO wird daher heute maßgeblich durch die objektive Voraussetzung der Tatentdeckung im vorstehend verstandenen Sinne und weniger durch die subjektive Komponente bestimmt.

5.

Auch unter dem Gesichtspunkt der sog. gestuften Selbstanzeige – bei der die konkreten Angaben zu den Besteuerungsgrundlagen erst noch „nachgereicht“ werden – wäre vorliegend keine Straffreiheit nach § 371 Abs. 1 AO eingetreten. Hier war nämlich bereits ebenfalls zum Zeitpunkt der ersten denkbaren berichtigenden Erklärung zu Beginn der Durchsuchungsmaßnahmen der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO gegeben.

Der Senat ist im Übrigen der Ansicht, dass mit einer „gestuften Selbstanzeige“ die Sperrwirkung nicht umgangen werden kann. Soweit dem Steuerpflichtigen aufgrund unzureichender Buchhaltung oder wegen fehlender Belege eine genau bezifferte Selbstanzeige nicht möglich ist, ist er nach Auffassung des Senats gehalten, von Anfang an – also bereits auf der ersten Stufe der Selbstanzeige – alle erforderlichen Angaben über die steuerlich erheblichen Tatsachen, notfalls auf der Basis einer Schätzung anhand der ihm bekannten Informationen, zu berichtigen, zu ergänzen oder nachzuholen.

Diese Angaben müssen in jedem Fall so geartet sein, dass die Finanzbehörde auf ihrer Grundlage in der Lage ist, ohne langwierige Nachforschungen den Sachverhalt vollends aufzuklären und die Steuer richtig festzusetzen (BGHSt 3, 373, 376; BGH wistra 2004, 309 m.w.N.; BGH DB 1977, 1347 m.w.N.). Genügen die Angaben -bei Anwendung eines strengen Maßstabes -diesen Anforderungen nicht, liegt eine wirksame Selbstanzeige nicht vor. Vielmehr ist dann lediglich die Ankündigung einer Selbstanzeige gegeben.

Strafbefreiung tritt auch dann nicht ein, wenn erkennbar unzureichende Angaben als Berichtigung von den für die Entscheidung über die Strafbefreiung zuständigen Stellen hingenommen werden, ohne dass rechtlich gebotene Nachforschungen zur Ermittlung des wahren Sachverhalts angestellt werden.

6.

Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, dass die Staatsanwaltschaft in den Fällen, bei denen eine Evokation (vgl. § 386 Abs. 4 Satz 2 AO) nicht fern liegt, frühzeitig in die Ermittlungen der Finanzbehörden einzubeziehen ist, damit sie ihr Recht und ihre Pflicht zur Prüfung einer Evokation auch in jedem Einzelfall und in jedem Stadium des Verfahrens sachgerecht ausüben kann (BGHSt 54, 9). Diese Pflicht zur Beteiligung der Staatsanwaltschaft gilt bei solchen Fallgestaltungen auch und gerade dann, wenn zu entscheiden ist, ob eine wirksame Selbstanzeige i.S.v. § 371 AO gegeben ist.

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